es geschieht in den Augen
  Eröffnungsrede anläßlich Günther Rösslers Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig 2008

Da ich nun immer noch an dieser Quelle sitze, aus der inzwischen schon so viele künstlerische Talentbächlein mit starker Wachstumstendenz geflossen sind, darf ich vorausschicken, worauf ich heute morgen gestoßen bin: Die Matrikel der HGB verzeichnet Günter Rössler als den achtzehnten eingeschriebenen Fotografiestudenten nach 1945, aber den ersten, der in seinem Fach noch heute einen Namen hat, sieht man einmal von Klaus Liebich, der in die Annalen des Hauses stärker als hingebungsvoller Lehrer, genannt Papa Liebich, eingegangen ist. Nr. 19 ist, wen wundert´s, Roger Rössing, sie waren also schon da unzertrennlich. Und jetzt der Sermon, wie der Sachse sagt:

Günter Rössler, meine sehr verehrten Damen und Herren, feiert die Frauen. Er tut das bis heute in Sachsen, wo – Sie werden mir gedanklich die Fortsetzung bereits vorweg genommen haben – die schönen Mädchen wachsen. Als ich ihn vor wenigen Tagen gefragt habe, welche seiner Schönen eigentlich keine Sächsin sei, schaut er verblüfft, murmelt „Gute Frage“, aber weder er noch Kirsten Schlegel - seine wunderbare Frau, Mitarbeiterin und zuverlässiges Zweitgedächtnis - finden eine einzige Ausnahme. Na, meine Damen, wenn das kein Kompliment ist!? „Aktfotografien - die Sache, mit der ich spätestens seit 1979 identifiziert wurde“, sagt der Autor, „waren mir immer Passion, nie Geschäft. Sie entstehen eher zufällig, nebenbei.“ Sein Geschäft sind Reportagen, Reisefotografie und vor allem die Mode. Kaum eine Redaktion, die ihn nicht beschäftigt, er fährt als erster Fotograf überhaupt nach Albanien, immer wieder nach Ungarn und Bulgarien, bringt einfühlsame zauberhafte Bilder von dort. Als Dokumentarist der Modekongresse schließlich wird er in alle Hauptstädte des sozialistischen Lagers geschickt. Mit welchem Fleiß und mit welcher Sorgfalt er seinem Metier nachgegangen ist, kann man an den ausgelegten Beispielen nur entfernt ahnen, denn sie zeigen einen winzigen Bruchteil seiner Veröffentlichungen.

Günter Rössler weiß die beiden Stränge seines Interesses prächtig zu vereinen, weil sie sich aus der gleichen Haltung speisen. Intelligenz, glückliches Naturell – und ein hohes Maß an Selbstbescheidung helfen ihm beizeiten, die schizophrene Falle zu meiden, in der sich viele seiner Kollegen als publizistische Auftragnehmer befanden - oft, ohne es zu bemerken. Das Brot und die Kunst (oder wie wir das immer nennen wollen) eben nicht zu scheiden – wir werden ihm noch ein wenig darauf kommen, wie er das anstellt. Modefotografie ist harte Arbeit, das an der Reportage geschulte Milieugefühl (Rösslers eigener Begriff) kommt ihm dabei sehr zugute. Sie fordert äußerste Präzision, die - gemessen an westlichen Produktionen – mit einem Bruchteil an materiellem und personellem Aufwand zu realisieren waren: ein (für Devisen zu beschaffender) Film pro Bild, zwei für ein Titelbild. Keine Locationscouts, Stylisten, Assistenten, Spezial-Ateliers und weiß der Teufel, was es da noch alles gibt. Und da war außerdem noch die kleine Schere im Kopf, das Bewusstsein, was alles nicht geht: Keine Autos, Hunde und schon gar keine rauchenden Frauen – das alles hätte mondän aussehen können, und so waren unsere Frauen nicht. Die vorauseilenden Bedenken der Redaktionen (vor der nächsten Chefredakteurskonferenz im ZK nämlich) und die daraus resultierenden bemühten Diskussionen haben zwar Nerven gekostet, waren aber auch d i e Herausforderung, die Tabus unmerklich zu unterlaufen. Günter Rössler, auf jeden Fall der Pfiffigsten einer, findet als einziger einen ganz eigenen, obwohl sehr nahe liegenden Weg, das Einengende zeitweise beiseite zu lassen. Die Mädchen führen es ihm doch ständig vor: Vielleicht ist es das größte Privileg des Modefotografen, tausendfach den Frauen – und nicht den Hässlichsten - beim Ausziehen zusehen zu dürfen, welcher andere Mann kann da mithalten? Das kann man doch nicht dauerhaft ignorieren, nicht wahr, lieber Günter? So fing es an mit den Rösslerschen Akten - und hörte nicht wieder auf. Denn Frauen spüren eben schneller als andere Menschen, wenn und dass einer wirklich interessiert ist an dem, was er vorgibt. Rössler will ja wirklich und immer Bilder machen, und er kann sich gar nicht vorstellen, sich für jemanden, den er fotografieren will, nicht zu interessieren, deshalb spricht er mit - ihr (muss ich jetzt sagen, denn der einzige männliche Held, der in seinem Ouevre in zentraler Rolle vorkommt, ist ein weißer Küchenstuhl. Wobei mich gestern bei der Kreuzer-Lektüre, lieber Günter, Dein Bericht stutzig gemacht hat, wie Du mit dem schweren, von Deinem Vater gebauten Blitzgerät durch die Bergwerksstollen gerobbt bist... Dort unten arbeiten meines Wissens keine Frauen; irgend etwas enthältst Du uns noch vor, darf ich demnächst mal stöbern kommen im Archiv?). Von seinen jungen Frauen jedenfalls, um aufs Thema zurückzukommen, weiß Günter Rössler immer, was sie freut und was sie traurig macht – und zwar, bevor er sie fotografiert. Wenn sie dann die Kleidung ablegen, wissen sie längst, dass sie diesem Mann vertrauen können; und dann gilt Rösslers eiserne Regel: Nichts Ablenkendes, Modisches, Zeitgebundenes darf im Wege sein. Wie weit man diesmal gemeinsam kommt auf der Reise zu Aphroditens ewigem Universum, das bleibt wohl für beide Seiten das Spannende.

MEIN LEBEN IN VIELEN AKTEN nennt sich denn auch, selbstbewusst und liebenswürdig keck (auch das gehört zu Günter Rössler), die von Uta Kolano sehr überzeugend aufgeschriebene Erzählung seines bisherigen Lebens, die ich Ihnen wärmstens ans interessierte Herz legen möchte. Viele Akte von einem, der (wie er selbst sagt) nicht stillsitzen kann, den erst vor kurzem sein etwas müder gewordenes Herz gelehrt hat, auch mal „entspannter“ zu sein. „Die Wiederholung“, um noch einmal Volkes Mund zu variieren, „ist die Mutter der Porzellankiste.“ In der Beherzigung dieser Weisheit zeigt Günter Rössler bis heute keine Ermüdungserscheinungen. SEQUENZEN nennt er einen zweiten Band unter seinen neueren Veröffentlichungen. Ich habe ja zugegebenermaßen erst den Brockhaus gebraucht, um die sakrale Dimension des Begriffs zu entdecken; als Sequenz bezeichnet man seit dem 10.Jh. ursprünglich einen liturgischen Text, der den Tonfolgen des Schluss-ALLELUJA unterlegt wurde und der die Funktion hatte, „das, was folgt“ anzukündigen, das EVANGELIUM nämlich. Die Sequenz in ihrem Ursprung also eine kunstvolle Steigerung einfachen Lobpreisens, das passt doch, und mit Sicherheit hatte Rössler für die Begriffsfindung kein Lexikon nötig. Emotional also gar kein so weiter Weg von der Meßlithurgie zum schlichten Streulicht der Markkleeberger Dachkammer, zu Ledersessel, Sofa oder Küchenstuhl und etwas zweckdienlichem Tuch, zu zeigen (Zitat) „das weibliche Geschlecht in seiner wahren Pracht“ - Originaleintrag im Gästebuch der ersten Personal-Ausstellung mit Aktfotografien des Günter Rössler, die im denkwürdigen Jahr 1979 in den niedrigen und bescheidenen Räumen des Kunsthauses auf dem Grimmaer Marktplatz stattfand. Auch hier war es eine Frau, die das kulturpolitische Novum den Verantwortlichen schmackhaft gemacht hat: Eine erfolgreiche Wanderausstellung durch zehn Städte bis nach Brno ist die Folge, samt Ankauf der gesamten Kollektion für die Cottbuser Sammlung. Rössler sieht seinen Weg bestätigt, er sucht und findet in Höfgen, dann im tschechischen Cicmany nahezu ideale Landschaftsstücke, die die nötige Ruhe und poetische Konstellationen für eine Weiterführung im größeren Maßstab bereithalten. Denn es galt, den errungenen Freiraum gemeinsam mit einem engen Freundeskreis auszubauen und theoretisch zu hinterfragen; Claus Baumann übrigens war entscheidend am Zustandekommen dieser Akt-Pleinairs beteiligt.

ähnlich wichtig wurden für Günter Rössler in dieser Zeit Besuche mit seinen jungen Frauen in Künstler-Ateliers, bevorzugt an der Ostsee. Der „Käptn“, wie der Maler Otto Niemeyer-Holstein sich gerne nennen ließ, war hier lange die wichtigste Bezugsperson. Bei ihm konnte Rössler zu jeder Zeit auftauchen, denn man profitierte gegenseitig voneinander und kam ohne Aufhebens zur Sache: Kurze Begrüßungsformel „Hallo, Günter, Du weißt ja Bescheid!“ Das Modell verschwindet hinter dem bereitstehenden Paravent, Rössler eilt nach hinten zum Plattenspieler und legt den obligaten Brahms auf, und los geht´s. Natürlichkeit und Selbstbestimmtheit der Frauen sind Günter Rössler wesentliche Werte, auch für die Präsentationen modischer Kleidung. Solche Zielstellungen konnte er zunächst in Zusammenarbeit mit solch legendären Zeitschriften wie SYBILLE, DAS MAGAZIN, das auch fast alle seine Aktfotografien als erste veröffentlicht, oder anhand der wegweisenden Präsentationen des Modeinstituts der DDR entwickeln. Es sind wenige zentrale Figuren, die diese Entwicklung mit ihm und anderen Fotografen vorantreiben, fast durchweg Frauen. Dorothea Bertram ist eine von den weitsichtigsten und hartnäckigsten. In ihrer theoretischen Diplomarbeit als Modegestalterin, betreut von dem damals seine legendäre Lehrerlaufbahn an der Kunsthochschule Weißensee begründenden Arno Fischer, meldete sie schon mal ihre Ansprüche an gute Modefotografie an, die sie dann als Redakteurin von SIBYLLE gemeinsam mit Günter Rössler umsetzen kann. Die beiden müssen sich gesucht und gefunden haben. Spricht man Dorothea Melis (sie ist seit den Siebzigern mit Roger Melis, dem Perfekten, verheiratet, der für die DDR-Fotografie eine ähnlich engagierte Rolle gespielt hat, wie sie für ihr Metier) spricht man sie also auf Günter Rössler an, kommt sie heute noch ins Schwärmen über den Glücksfall ihrer Begegnung mit diesem charismatischen, witzigen Fotografen aus Leipzig, von dem sie soviel lernt, und der zu dieser Zeit – wir sprechen von den 60er Jahren! - der einzige ist, der hundertprozentig ihre Vorstellungen umzusetzen bereit ist. Er war damals wohl, zu diesem Schluss kommt Thea Melis 1998 in ihrem bemerkenswerten, materialreichen SIBYLLE-Buch, „der ambitionierteste Modefotograf, der maßgeblich Vorstellungen von einem neuen Frauentyp beförderte“. Ich zitiere weiter: „Mit Günter Rössler und Arno Fischer fand in den 60er Jahren in der DDR eine zeitgemäße, international vergleichbare Modefotografie und der Typ der attraktiven Berufstätigen ihren Durchbruch.“ Mit Verlaub, genau darin liegt eben die Schwierigkeit, denn um letztere, die attraktive Berufstätige, ging es eben in der internationalen Modefotografie, um deren Anerkennung hier nachträglich gebuhlt wird, mitnichten – das hat die Dame einen feuchten Kehricht interessiert. Modefotografie in der SIBYLLE war indirekte Werbung für ein Gesellschaftsbild mit Hilfe von Produkten, die es nirgendwo zu kaufen gab. Schmeichelhafte rührende, beunruhigende Ideale wurden an die Leute gebracht, und sie haben ihre Wirkung getan - Rössler kann es nun wahrlich bezeugen. Und wir stehen hier mit sprichwörtlich feuchten Augen.

Vielleicht geht es Ihnen ähnlich wie mir, und damit wende ich mich an die etwas älteren unter Ihnen, die Bilder, nein, nicht einmal so sehr die Bilder dieser Ausstellung, aber die Frauen auf ihnen, ihr lockeres Selbstverständnis, das sie lustvoll vorführen, besser noch: mit dem sie sind, was sie sind – das alles ist einem so vertraut; es sitzt noch ziemlich fest. Immerhin haben sie uns doch aus der SYBILLE ebenso ermunternd angeschaut wie von den Säulen der konsument – Warenhäuser (so hießen die tatsächlich!), die Rössler republikweit ein bisschen aufpeppt mit seinen Bildern. Sie erinnern sich, statt der Spiegel gab es dort diese großformatigen Fotografien, diese profanisierten Ikonostase des sozialistischen Warentempels. Und wenn ich Renate G. sehe, eines der Lieblingsmodelle Günter Rösslers, schalten meine Synapsen freiwillig zu Angelika Domröse weiter oder auch zur nicht minder wunderbaren Jutta Hoffmann.

Günter Rössler war nicht nur verankert in einer Kultur, er hat sie aktiv mit gestaltet durch seine Liebe zu den Frauen und sein Ethos, das ihn grundsätzlich in seiner Arbeit leitet. Nun rede ich zwar, was den Fotografen Rössler betrifft, als Blinder von der Farbe, denn ich habe ihn nie arbeiten sehen, habe an keinem AKT – PLEINAIR teilgenommen und leider auch nie eine Aufführung der SCHAUBüHNE gesehen, kann andererseits aus ebendiesen Gründen Unbefangenheit beanspruchen. Die eben erwähnte SCHAUBüHNE war eine Hauptgaudi, ein Gemeinschaftsprodukt, in dem sich fast zwangsläufig Rösslers Intentionen und Fähigkeiten bündelten. Vom Auftraggeber, der Firma Vogel in Burgstädt, als Modenschau für Unterwäsche gedacht, führt Rössler, der immer auf echte Zusammenarbeit, auf interessiertes Mittun angewiesen war, zusammen mit Kollegen, seinem Sohn und begeisterten Modellen in dieser Schau unterhaltsam und furios alles zusammen: Mode, Musik, Tanz, Dichtung, Projektion und spritziges Entertainment in einer erotischen Doppelbödigkeit, die den eigentlichen Zweck des Wochenenddauerbrenners fast vergessen ließen. Das Brechtzitat „Bei uns Deutschen rutscht sehr leicht alles ins Unkörperliche und Unanschauliche, worauf wir anfangen von Weltanschauung zu sprechen“, das ich – nebenbei gesagt - auch heute noch nicht für gegenstandslos halte, streicht ihm die Zensur irgendwann aus dem Programm, obwohl die Großkopfeten – man kann es im Kreuzer nachlesen – schon auch mal ihren Spaß an der Sache hatten. Das Reizvolle und Anspornende an solchen Unternehmungen, allen Publizierenden in der DDR bekannt, war nicht etwa ihre Exklusivität, sondern das Jonglieren an der Grenze des Möglichen.

Dass Günter Rössler – selbst in einer für ihn befriedigenden Beziehung - nicht zu klammern bereit ist, hat er der Chefredakteurin von SYBILLE, Margot Pfannstiel, gezeigt, als diese, ihrem Namen alle Ehre machend, ihm zu verstehen gibt, dass sie seine Fotos zwar prima fände, dies den Makel seiner Herkunft jedoch nicht wettmachen könne - ein Sachse in Berlin! Günter Rössler, nicht faul, ist stolz genug, den Stiel umzudrehen, haut die Chefin in die eigene Pfanne und ward in Berlin nicht mehr gesehen. Die MODISCHEN MASCHEN in Leipzig beim Verlag für die Frau waren schlauer, sicherten sich den Könner und bekennenden Sachsen als Fotografen u n d Layouter und damit über Jahre eine Zukunft, deren Profil Günter Rössler mit seinen Ideen und seiner Kreativität wesentlich bestimmte. Die Zeitschrift wurde durch ihn zum begehrten Artikel – die Damen im Publikum werden das sicher gern bezeugen. Dass eine Zukunft ohne gelegentlich auf die plumpe Art dreinredenden Parteisekretär noch kreativer verlaufen könnte, schien Günter Rössler - wie vielen anderen im journalistischen Bereich Tätigen - nach 1989 eine beflügelnde Aussicht. Die Ernüchterung kam für alle auf die gleiche herbe Art, denn Plattmachen war angesagt. Plötzlich war man unerwünschte, auszuschaltende Konkurrenz, mit welchem Mittel auch immer. Eine bittere Erfahrung, die nur solche „Arbeitstiere“ (G.R. über sich selbst), solche Optimisten wie er mit Zähigkeit und einer Portion Glück überstehen konnten.

Andererseits war Günter Rössler Jahre vorher bereits von einer völlig unerwarteten Seite Genugtuung widerfahren. Der PLAYBOY bittet 1981 um Abdruckgenehmigung für einige seiner Aktfotografien, die schließlich durch Vermittlung des Verbandes bildender Künstler auch genehmigt wird. Der Meister fühlt sich geehrt, trifft eine Auswahl, die die „zuständigen Organe“, wie sie sich zu nennen beliebten, weiterreichen und die ihm irgendwann auch das überraschende Ergebnis präsentieren. Dafür hatte der Bürger Rössler - kennen Sie die Zitterpartie noch? - zur Klärung eines Sachverhalts zu erscheinen. Von einem Exemplar NEUES DEUTSCHLAND schamhaft verdeckt, blättert ihm ein Beamter Seite für Seite das erstaunliche Corpus delicti aus dem kapitalistischen Ausland vor: Edel auf silbernem Grund im Herzen des Heftes herausgehoben – Kunst-Pictorial nannte der PLAYBOY so etwas - unter dem Titel „Mädchen aus der DDR“ professionell die Bilder zueinander geordnet, wertet der beigegebene Text die besondere Qualität der Bilder als Beweis eines erfreulichen gesellschaftlichen Phänomens, unterstreicht das Selbstbewusstsein der abgebildeten jungen Frauen, die in ihrem Alltag ganz normalen Berufen nachgehen und beschließt die Ankündigung mit folgendem Satz: „Und so sind seine Bilder überraschende Momentaufnahmen vom Unverkrampften, ungewöhnliche Dokumente aus dem unbekannten Land nebenan.“ Der Meister selbst schaut dann doch etwas gestresst aus dem dezenten weißen Rahmen im Zentrum des Playboy-Kommentars, dessen raffinierte kreuzförmige Gestalt den einzigen Hinweis auf den üblichen überlegenheitsgestus in derartigen Veröffentlichungen hergibt. Rössler (Zitat) „war sehr zufrieden,... besser konnte man den Gegensatz zwischen den Ansprüchen nicht darstellen.“

„Es war eigentlich immer schön mit Günter“, sagt Maria, die vor langer Zeit viele seiner Modeaufnahmen mit ihm realisiert hat. „Er hat sich immer voll reingekniet, sich für alle engagiert. Das musst du dir mal vorstellen, der hat mit mir Teppich geklopft, mein Zimmer umgeräumt oder mich früh, wenn er nach Berlin fuhr, extra abgeholt und noch schnell zum Baden gefahren. Zurück bin ich dann gelaufen.“ Geschmacksbildend hätte er gewirkt. Und da er sich seine Modelle am liebsten von der Straße holte (bei Maria war es die Hainstraße), nahm er gerne in Kauf, dass er ihnen zunächst die Wimpern selbst ankleben musste. An dieser Stelle gilt es, einem möglichen Trugschluss vorzubeugen: Auch das Natürliche, das Günter Rössler zum obersten Qualitätsmerkmal wird, muss hergestellt werden – wahrscheinlich bedarf es einer noch größeren Intensität als das Affektierte, als die hohle, professionelle Pose. „Bei Günter“ (noch einmal Maria), „waren die Fotos immer erst gut, wenn einem alles weh getan hat. Aber sie waren dann auch irgendwie anders.“ Natürlichkeit als Stil. Ob die Mädchen dafür etwas Entscheidendes mitbringen, weiß Günter Rössler meist nach kurzem Kontakt. Das ist eigentlich wie im Leben: Ob wir mit einem Menschen gut könnten, spüren wir sehr rasch, ob wir daraus etwas Richtiges zu machen verstehen, steht auf einem anderen Blatt – dem der Kunst?

Was genau Rösslers, des Bildermachers, Kunst ist, hat Roger Rössing, mit dem Günter Rössler eine tiefe Freundschaft, viel gemeinsame Arbeit und lebendiger Austausch lebenslang verbanden, bereits vor 25 Jahren so gut beschrieben, dass man um diesen mit zahlreichen Zitaten seines Freundes sorgfältig durchwirkten Text bis heute nicht herumkommt: Roger Rössing, der mir ob seiner Doppelbegabung für Bild und Text schon früh aufgefallen war, bringt Rösslers Können fast thesenhaft auf den Punkt, als zentrale Prämisse den bemerkenswerten Satz vorausschickend: Gestalt wird ohne Ausnahme gestaltet. Weiter heißt es: - nie werden Verkürzungen gegen die Physis eingesetzt - strikte Vermeidung alles Modischen - Gesichtsausdruck ordnet sich immer dem Bildausdruck unter - Isolierung des Bildgedankens vom Zufälligen - Andeutung anstelle Vordergründigkeit, um gedanklichen Spielraum zu geben - freudvolle Anerkennung der Bindung seines Mediums an die Realität - hoher Aufwand von Arbeit, Wahrnehmung, Gedanken und Gefühlen Kultiviertheit, Instinkt für Bildbefunde, analytische Skepsis, vorbehaltloses Bekenntnis zum Bildwert bescheinigt er dem Freund, und er spricht – quasi die thematische Klammer der aktuellen Ausstellung vorwegnehmend - von dessen besonderem Sinn für das Unbezeichenbare eines Blickes. Vielleicht könnten Rösslers Bilder uns ja auch sagen, dass wir mit unserem Schönheitskapital nicht so sehr gut umgehen, dass uns die eigene Pracht wenig wert ist, denn das würde auch erklären, weshalb ihm der Blick so wichtig ist.

Die starke Wirkung des geschickt gewählten Werbefotos, das Sie heute zu Hunderten hierher gelockt hat, gibt Günter Rössler aufs Angenehmste recht. Mit diesem 160 Quadratmetern großen Riesenbild an der Außenwand des Museums eine ganze Stadt auf das Allerheiligste in Rösslers Philosophie neugierig gemacht zu haben, ist eine starke Leistung, zu der ich den Initiatoren der Ausstellung ausdrücklich gratulieren möchte. Ich werte dieses flächendeckende Signal als Zeichen einer neuen Aufmerksamkeit für das Medium Fotografie in Leipzig, zu der der starke Nachbar, das Bildermuseum, mit der erst kürzlich erfolgten Retrospektive Evelyn Richters den Auftakt gegeben hatte. Mir war das Riesenplakat zum ersten Mal ins Auge gefallen, als ich mit meinem Vater im Museumscafe saß, vom seitwärts gewandten Blick der schönen Nackten genau in ihrer Blickrichtung eingesogen. Zufällig saßen wir so, dass mein nächster Blick den anderen Riesen, den stolzen Sieger David erfasste, sein Blick den ihren in den Kunsttempel hinein verlängernd, seine Gestalt alles ergänzend, was in Rösslers Bildern fehlt, und – es war einfach nicht zu übersehen – auch den gleichen Arm wie sie hebend. Mit dieser Geste hatte Michelangelo dem Anspruch des Menschen an sich selbst für immer gültige Gestalt gegeben. Ein Schelm, der eine solche Platzierung noch für Zufall halten kann. In einer rückblickenden Betrachtung also zu trennen zwischen Passion und Geschäft, halte ich auch deshalb für unangebracht, weil es Günter Rössler klugerweise selbst nicht tut. Irgendwo steht, dass er Modefotografie eigentlich furchtbar findet, Aktfotografie jedoch das Natürlichste von der Welt. Von der Welt des Menschen, wäre vielleicht zu ergänzen, denn nackt kommen wir Tiere zwar alle zur Welt, aber dem Menschen - als dem hilflos bleibenden Säugetier – hat die Natur das schützende Fell versagt. Insofern meint Nacktsein das Einverständnis in unsere Natur, somit das Menschlichste an uns. Wir sind uns allerdings dieses status nascendi nicht immer bewusst, schon gar nicht, wenn wir ihn als Schwäche begreifen.

Günter Rössler akzeptiert den Aspekt der Hilflosigkeit nur insofern, weil er um seine wunderbare Kehrseite weiß. Befähigt zur Einsicht, wie wir durch Evolution geworden sind, können wir verstehen, dass nur das Bewusstsein unserer selbst uns schön macht, sinnlich, begehrenswert. Leben können das die anderen Tiere meist besser, weil sie es eben nicht verstehen müssen. Deshalb brauchen wir Hilflosen die übersetzungsmagie des Künstlers, der mit all seinem Können dieses Selbstverständliche - zuverlässig gebündelt - wieder ins Unbewusste, ins Anschauliche treibt, das trotz - nein: wegen seiner Komplexität mit einem Schlag erfahrbar wird.

Diesen Anspruch spüre ich sehr deutlich in Rösslers Bildern, deren Gestalt auf ein tradiertes, in gewisser Weise auch malerisches Bildverständnis verweist. Er nennt prägende Kunsterlebnisse, die ihn in der Aneignung wesentlicher Mittel stützen: Modiglianis Formerfindungen stehen ebenso Pate wie das Erlebnis der großen Juliette Greco für Schlichtheit, für große, klare Linie und ein weiches, stimmungsvolles Auftauchen des Körpers aus dem Dunkel heraus. Tief durchatmen muss er, sagt Rössler, wenn er an sie denkt. Wie gut jene spezifische Körperlichkeit als Artefakt in seinen Bildern funktioniert, belegt folgende liebenswerte Anekdote: Ein kleiner Junge stürzt begeistert mit einem Akt-Bildband des Fotografen zur Mutter, zeigt auf dessen Klassiker einer kerzengerade in einen Leder-Ohrensessel gestreckten jungen Frau und sagt: „Mami, guck mal, wenn ich groß bin, möchte ich auch so einen Sessel!“. Ich bin sicher, er hat ihn bekommen.

Wir aber haben vom Künstler eine wunderbare Ausstellung geschenkt bekommen. Ihm, Kirsten Schlegel und der engagierten Crew des Museums mit Volker Rodekamp an der Spitze, der seinem Künstler an Charisma um nichts nachsteht, sei dafür von Herzen gedankt, und Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine aufrichtige Verneigung für Ihr geduldiges Ausharren, bevor Sie nun bald Ihre Blicke mit denen der schönsten Sächsinnen vermählen können.

Helfried Strauß, Leipzig den 5.09. 2006

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